Liebe Bits & Bäume,
ich habe vor einiger Zeit bei einer E-Mail-Kampagne der Inititiative GermanZero mitgemacht. GermanZero versucht mit viel Marketing und Expertise, den Job zu machen, der seit Jahrzehnten (zumindest nicht genügend) von PolitikerInnen gemacht wird: Ein fertiges Klimaschutzgesetz vorzulegen, dass den Pariser Zielen gerecht wird. Mit-Initiator ist Heinrich Strößenreuther, der etwas ähnliches bereits mit dem Berliner Mobilitätsgesetz geschafft hat.
Bei der E-Mail-Kampagne ging es darum, dass die Corona-Hilfsgelder nur für klimapolitisch sinnvolle Dinge eingesetzt werden. Dazu sollten die angeschriebenen Bundestagsabgeordneten ein „Klimaversprechen“ unterschreiben und zurückschicken. Auf solche Massenmails kommen nur selten Antworten. Umso erstaunter war ich, dass untenstehende sehr auführliche Antwort von zwei SPD-MdBs kam. Besonders der letzte Punkt hat mich an dieses Forum erinnert: Ein Ort, an dem man strukturiert inhaltlich diskutieren kann.
Ich bitte Euch um Meinungen, ob ich den beiden MdBs antworten soll, dass wir doch hier im B&B-Forum diskutieren könnten. Aber natürlich will ich das B&B-Forum nicht durch eine andere Initiative zweckentfremden. Eventuell ist ein anderer Ort im Internet besser geeignet? GermanZero hat aber bisher noch keine Online-Diskussionsplattform und, als Außenstehender, habe ich auch nicht das Gefühl, dass da eine kommen wird.
Also, was denkt ihr?
Danke und Gruß
Thomas
Hier die Antwort der MdBs:
Sehr geehrter Damen und Herren,
es ist uns nicht möglich, mit unserer Bürokapazität auf alle Mailzuschriften individuell zu reagieren, das ist bei Massenmails fast immer so. Die Zuschriftentexte unterscheiden sich in den inhaltlichen Schwerpunkten. Deshalb versuchen wir, mit einem gleichsam thematischen „Rundumschlag“ zu antworten. Falls das eine oder andere spezielle Thema nicht angesprochen sein sollte, gibt es die Möglichkeit der Re-Mail.
- Klimaziel ins Grundgesetz
Der Forderung stimmen wir zu. Das formulierte Ziel muss identisch sein mit dem seit Paris 2015 verbindlichen. Heißt: Bis 2050 ist Deutschland bilanziell CO2 Netto Null. Das bereits beschlossene Klimaschutzgesetz, der zugehörige Klimaschutzplan als die operationalisierende Konkretisierung, die gesetzlich verankerten sektorscharfen jährlichen Reviews entfalten schon jetzt eine hohe politische Bindungskraft. Außer der AfD gibt es keine politische Kraft, die sich dieser Bindungswirkung entziehen möchte. Auf EU-Ebene wird durch den Green Deal und ein europäisches Klimagesetz weiterer absichernder Background aufgebaut, der im Zweifelsfalle wichtiger ist, als das nationale Staatsziel im GG zu verankern. Dazu bedarf es, Sie wissen es, einer 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Die formale Hürde ist also hoch gelegt.
- Wird schon was gemacht?
Wir haben den „Klimaplan für Deutschland“ aufmerksam gelesen, also das Dokument von GermanZero, welches Anlass der Mailkampagne ist. Er enthält im „Werkzeugkoffer“ keine disruptiv anmutenden Instrumente, die noch nie irgendwo benannt oder diskutiert worden wären. Das verwundert nicht und ist auch keine Kritik. Die Instrumente sind allgemein bekannt. Der Unterschied liegt im Zeitplan, nicht in den Instrumenten.
Vieles von dem, was im Papier sektorspezifisch als notwendig gefordert wird, ist auch auf dem Weg. Dazu ein paar ausgewählte Beispiele:
Im KVBG (Kohleverstomungsbeendigungsgesetz) wird der Ausstieg aus der Stein- und Braunkohleverstromung beschrieben und verankert. In § 2 des Gesetzes kann man den Zeitplan nachlesen. Das bedeutet: Wir nehmen im anvisierten Zeitraum rund 40 GW aktuell installierte grundlastfähige elektrische Leistung vom Netz und steigen zusätzlich Ende 2022 aus der A-Kraft aus. Letzteres ist unbestreitbar richtig. Das sind noch einmal rund 9 GW Leistung. Während wir den Antworttext schreiben (13:15, 23.05.20 ) hat z.B. Frankreich eine Carbon Intensity = gCO2 pro kWh von 33 g, 97% der Stromproduktion sind low-carbon, 37% erneuerbar. Deutschland liegt bei 69% Erneuerbare, allerdings nur bei 80% low-carbon und einer Intensity von 172 gCO2/kWh. Ist Frankreichs Stromproduktion „grüner“? Nicht wirklich. Dort laufen rund 30 GW Atomstrom, der ist laut IPCC mit 3 gCO2/kWh low-carbon. Was heißt das? Wir vollziehen mit dem Kohle- und Atomausstieg etwas, was kein anderes Industrieland in der Welt bisher in Angriff genommen hat. Das Ziel „Doppel-Null“ (= Kohle 0 + Atomkraft 0) gibt es nur in Deutschland. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal für Deutschland.
Die Stromproduktion wird volatiler sein, weil Wind und Sonne nicht so planbar sind, wie Stromerzeugung über fossile Primärenergien. Das bedeutet zwingend, dass auf der Demand-Site der Erzeugungsvolatilität eine flexible Stromnutzung entsprechen muss. Wenn wir die 65% Erneuerbare in 2030 erreicht haben, wird der Volatilitätsgrad so hoch sein, dass das nicht mehr allein mit Smart Grids aussteuerbar ist. Wir brauchen Speicher. Das können Batterien sein, auch die in Kfz, doch ob die bis dahin maximal 10 Mio. E-Fahrzeuge (von insgesamt 47 Mio./nur Pkw) die Volatilität abpuffern können, ist fraglich. Insofern ist geplant, massiv in die H2-Technologie zu investieren, das heißt, Aufbau einer Elektrolyseleistung von mindestens 10 GW bis 2030. (Hinweis: Aktuell liegt diese Leistung in Deutschland bei rund 100 MW!) Gekoppelt mit Syntheseeinrichtungen, können Synfuels und andere CH-Kettenprodukte erzeugt werden. Und die dazu erforderliche maschinelle Anlageninfrastruktur kann der Exportsektor der kommenden Jahrzehnte werden. Wir sprechen hier von der zentralen industriepolitischen Perspektive unseres Landes und. Für die Elektrolyse bedarf es grünen Strom aus Wind und Sonne, insofern müssen die Anlagen on- und offshore ausgebaut sowie Altanlagen repowered werden. Der 52 GW-Deckel wird aufgehoben. Auch diese Themen werden in den nächsten Wochen bis zur Sommerpause geklärt werden.
- Einzelthemen
• Auf Seite 10 des Basispapiers steht die „GermanZero Zukunftswerkstatt“. Wir schätzen Zukunftswerkstätten, Herr Klare hat selbst schon welche organisiert und moderiert. Doch „german“ ist uns zu eng gedacht. Das sollte das Strom-Beispiel oben zeigen. Wir brauchen eine EuropeanZero Zukunftswerkstatt. Sonst kommt für unsere Elektrolyseure, mit denen wir das H2 erzeugen, um z.B. die deutsche Stahlproduktion THG-neutral zu machen, am Ende aus französischen AKW - oder aus schwedischen. Wir wollen grünen Wasserstoff und keinen „roten“.
• Auch wir sind für einen ambitionierten CO2-Preis. Die Mineralölwirtschaft spricht von 400 € pro Tonne, allerdings nicht ad on, sondern als „Ersatz“ für alle bisherigen ökologischen Steuern und Abgaben. Diesen „radikalen“ Weg der Umstrukturierung sollte man u.E. durchaus gehen. Andere fordern, den Non-ETS-Bereich (Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft) in den EU-ETS zu integrieren und damit die NDCs allein über das marktbasierte Zertifikate-System sichern. Bei Letzterem sind wir skeptisch. Die Diskussion ist hier allerdings noch nicht abgeschlossen.
• Der Luftverkehr ist bereits im EU-ETS und hat mit rund 35% die geringste kostenlose Ausstattung mit Zertifikaten aller am ETS beteiligten Akteure. Er macht mit 2,175 Mio. Tonnen CO2 im Gesamtinventar Deutschlands rund 0,5% aus. Weltweit sind es rund 5%. In diesen 5% sind die indirekten Klimawirkungen enthalten. Die Mehrwertsteuer kann für internationale Flüge nicht erhoben werden, weil sie eine Inlandssteuer ist. Das gilt für alle anderen Waren und Dienstleistungen auch. Der sogenannte „Karussell-Betrug“ machte sich diesen Umstand vor einigen Jahren „zunutze“. (Hinweis: Es ging nicht ums Fliegen, sondern um Waren.) Mit CORSIA hat der internationale Luftverkehr weltweit das erste System, CO2-Emissionen allgemein zu bepreisen. Es gilt ab 2021. Die Luftverkehrsbranche ist hochinnovativ und natürlich intrinsisch motiviert, Treibstoff zu sparen, weil die Kosten dafür rund 25% der Betriebskosten ausmachen. Es ist gelungen, Triebwerke zu bauen, die den Treibstoffverbrauch mehr als halbieren. Hätten das die Automobilbauer geschafft, führen wir jetzt alle mit 3-Liter-Autos. Synthetischer Kraftstoff kann das Fliegen in Zukunft klimaneutral machen. Dazu brauchen wir eine europäisch aber auch international abgestimmte Roadmap zum Einstieg in die Wasserstoffstrategie, denn H2 ist immer der Basisstoff. Die H2-Strategie ist das wahrscheinlich industriepolitisch wirkmächtigste Projekt der Gegenwart. Das heißt, dass wir die EU-RED II – Richtlinie (Erneuerbare Energie Richtlinie) national ambitioniert umsetzen müssen.
• Wir haben nichts dagegen, Diesel so zu besteuern wie Benzin. Allerdings muss man dann auch die deutlich höhere Kfz-Steuer für Diesel auf Ottokraftstoffniveau senken. Wer weniger als rund 17.000 km im Jahr fährt, hat wegen der höheren Kfz-Steuer als Dieselfahrer keinen Vorteil. Landläufig ist der Zusammenhang bekannt, alle wissen, dass sich Diesel erst lohnt, wenn man viel unterwegs ist. Durchschnittlich fahren Pkw in Deutschland 13.500 km p.a. Der Steuerkontext wird in der Debatte oft ausgeblendet.
• Wir sind gegen ein Remake der Abwrackprämie á la 2009. Die Agora Energiewende hat vor wenigen Tagen ein Papier vorgelegt, das u.E. einen guten Vorschlag enthält. (https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/der-doppelte-booster/) Auf Seite 25 f findet sich der Vorschlag für eine Prämie. Diese soll eine Höhe von maximal 1.500 € haben und sich nach der CO2-Emission pro km richten. Agora schlägt vor, dass für alle Fahrzeuge < 110 gCO2/km diese Prämie gezahlt wird. (Basis WLTP) Das sei, so die Agora, de facto auch ein Kaufanreiz für Verbrenner, aber nur für die sparsamen Modelle. Die Agora ist nicht verdächtig, der Autoindustrie nach dem Munde zu reden. Dieser Vorschlag findet unsere Zustimmung, weil er CO2-Reduktion und Nachfragestimulans in eins bringt. Eben das ist mit dem „Doppel-Booster“ der Agora gemeint. Stimuli müssen klimapfadadäquat sein, weil ohnehin sich in Zukunft nur verkaufen lassen wird, was dazu beträgt, die Klimaziele einzuhalten. Wegen ihrer Größe spielt die Autoindustrie in Deutschland eine entscheidende Rolle. Sie macht rund 5% der gesamten Bruttowertschöpfung aus und beschäftigt direkt 820.000 Menschen, indirekt kommen noch einmal so viele dazu. Diese Branche ist ein initialer Schlüssel. Rund 60% ist der Gewichtsanteil des Stahls an einem Auto. Insofern ist die Autoindustrie einer der größten Stahlnachfrager. Das gilt auch, etwas abgeschwächt, für die Aluminiumherstellung. Die Wertschöpfungsketten sind also vernetzt. Wenn es darum geht, die Konjunktur in Schwung zu bringen, liegt der initiale Schlüssel bei der Automobilindustrie. Natürlich sollten die alternativen Antriebe deutlich stärker, auch höher als bisher, gefördert werden.
• Der Bund investiert schon heute fast 10 Mrd. jährlich in den Öffentlichen Verkehr. (ÖV) Mit 8,6 Mrd. p.a. sind die Regionalisierungsmittel der größte Teil. Das Geld geht nach einem Schlüssel, der im Gesetz festgelegt ist, an die Bundesländer, die davon die S- und Regionalbahnen bestellen und bezahlen. Die Mittel werden jährlich um 1,8% dynamisiert. Im Moment haben die Bundesländer ca. 3 Mrd. aus diesen Mitteln „auf der hohen Kante“, was zum ersten legitim ist, zweitens aber auch zeigt, dass die Mittel auskömmlich sind. Die „Reg-Mittel“ sind klassische Opex-Mittel, fließen also in die Betriebskosten. Die GVFG-Mittel des Bundes, die auf bis 5 Mrd. bis 2025 erhöht werden, sind Capex, also für Investitionen. Nach der föderalen Arbeits- und Finanzierungsteilung, der alle Bundesländer zugestimmt haben, sind die Länder für die ÖV-Finanzierung zuständig, das heißt, die Busse und Trams vor Ort werden von den Kommunen bezahlt, die über Gemeindefinanzierungsgesetze der Länder dafür Mittel bekommen. Länder und Kommunen sind überdies mit Prozentanteilen am allgemeinen Steueraufkommen beteiligt. Die DB AG, zu 100% in Bundeshand, erhält rund 10 Mrd. in den kommenden Jahren. Das wurde bereits vor der Krise beschlossen. Wir haben die Netzentgelte für den Schienentransport halbiert, die notwendigen rund 350 Mio. kommen jetzt aus dem Bundeshaushalt. Synchron dazu wurde die Mauterhebung auf deutlich mehr Straßen ausgeweitet. Im Mautsystem haben die umweltfreundlichen Fahrzeuge Vorteile, was dazu geführt hat, dass es Deutschland im Lkw-Fernverkehr fast nur noch Euro 6 gibt.
- Allgemeine Anmerkungen
• Wir finden es gut, wenn sich möglichst viele an der von GermanZero projektierten Zukunftswerkstatt beteiligen, wenn sie dann auch noch eine europäische Dimension bekäme, wäre es noch besser. Eine Zukunftswerkstatt lebt vom Gold in den Köpfen der Vielen.
• Das vorliegende Klimaplan-Papier von GermanZero ist vom Anspruch über die „Fantasiephase“ (nach Robert Jungk) hinaus, es ist eine fordernde Roadmap. Das ist auch in Ordnung, allerdings verlangt eine Zukunftswerkstatt einen offeneren Beginn.
• Wir würden uns wünschen, es gäbe eine technische Möglichkeit, ein Online-Tool, mit dessen Hilfe man vor Ort in unseren Wahlkreis oder auch darüber hinaus wirklich in einen Dialog kommen kann. (Im Netz findet man solche Tools vereinzelt.) Das heißt: Alle müssen zu Wort kommen können. Es muss möglich sein, auf jede Äußerung zu reagieren, damit ein Diskurs entstehen kann. In einen Diskurs kann man nicht mit der Überzeugung gehen, man sei im Besitz der Wahrheit in letzter Instanz. Die Handlungszwänge werden für die Zeit des Diskurses „virtualisiert“. (Alles Regeln, die Jürgen Habermas vor Jahrzehnten zeitlos richtig formulierte.)
• Wenn Sie Lust haben an einer Zukunftswerkstatt teilzunehmen, lassen Sie es uns wissen und sagen sie es auch der Kampagneplattform, über die wir die Mail bekommen haben. Die sind aufgrund ihrer Netzkompetenz am ehesten in der Lage, einen großen Diskurs zu organisieren. Wir sind jederzeit dazu bereit.Kirsten Lühmann, MdB Arno Klare, MdB